Anästhesiologie und Perioperative Medizin
Die Schweizerische Gesellschaft für Anästhesiologie und Perioperative Medizin (SSAPM) gibt die folgenden, weiteren fünf Empfehlungen ab:
1) Keine perioperative Antibiotikaprophylaxe ausserhalb der Guidelines. Die Prophylaxe als Einmaldosis sollte zeitgerecht erfolgen (0–60 Minuten vor Hautschnitt), und falls in Ausnahmefällen eine postoperative Gabe notwendig ist, soll diese auf 24 Stunden begrenzt werden.
Chirurgische Wundinfekte sind mit einer Inzidenz von 2–5% aller durchgeführten Operationen eine relativ häufige postoperative Komplikation mit beträchtlicher Morbidität und Mortalität. Verschiedene Studien in den vergangenen Jahren konnten belegen, dass eine adäquate, perioperativ durchgeführte Antibiotikaprophylaxe die Wundinfektrate senken kann. Dafür muss das Antibiotikum effektiv sein gegen Erreger, die die Wunde am wahrscheinlichsten kontaminieren, und zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Dosis verabreicht werden, damit zum Zeitpunkt der möglichen Kontamination ein wirksamer Serumspiegel und eine wirksame Gewebekonzentration bestehen kann. Grundsätzlich gilt dies – gemäss den aktuellen Guidelines zur Verhinderung von SSI (Surgical Site Infection) – für ein Zeitfenster von 60 Minuten vor Hautschnitt oder, bei Operationen mit Tourniquet, 60 Minuten vor Tourniquet-Anlage. Eine Einmaldosis genügt meistens. Eine zweite Dosis soll dann appliziert werden, wenn die Operationszeit 2-mal die Halbwertszeit des Antibiotikums überschreitet oder ein Blutverlust von >1500 ml vorliegt. Eine postoperative Gabe ist meist nicht erforderlich – wenn sie jedoch erfolgt, soll sie auf 24 Stunden begrenzt werden.
Literatur:
Senn LV, Widmer A, Zanetti G, Kuster S. Aktualisierte Empfehlungen zur perioperativen Antibiotikaprophylaxe in der Schweiz, 2015. Swiss-noso Bulletin. 2015;20:1 –8
Allegranzi B, Bischoff P, de Jonge S, Kubilay NZ, Zayed B, Gomes SM, et al.; WHO Guidelines Development Group. New WHO recommendations on preoperative measures for surgical site infection prevention: an evidence-based global perspective. Lancet Infect Dis. 2016 Dec;16(12):e276–87. dx.doi.org/10.1016/ S1473-3099(16)30398-X.
2) Keine Kathetereinlage (arterielle und zentrale Gefässkatheter, Schmerzkatheter, Urinkatheter) ohne vorgängige kritische Indikationsprüfung. Bei Entscheid zur Einlage ist auf ein steriles Vorgehen, wenn möglich auf die Nutzung von Bildgebung (Ultraschall) und auf eine möglichst kurze Liegedauer zu achten.
Eine perioperative Kathetereinlage ist mit einem erhöhten Komplikationsrisiko assoziiert. Allen Kathetertypen (Arterien-, Zentralvenen-, Schmerz- und Urinkathetern) gemeinsam ist ein erhöhtes Infektionsrisiko aufgrund der Überwindung von anatomisch-physiologischen Barrieren. Daher ist für die Einlage eines Katheters eine klare Indikationsstellung erforderlich. Beispielsweise verbessert eine vaskuläre Kathetereinlage (ein arterieller Katheter zur kontinuierlichen invasiven Blutdruckmessung oder ein zentralvenöser Katheter zur Messung des zentralvenösen Druckes) die Patientenbehandlung nicht per se, und eine Katheterverwendung muss mit den entsprechenden notwendigen, adäquaten Massnahmen einhergehen, um das Patientenoutcome positiv zu beeinflussen. Bei einem Entscheid zur Kathetereinlage müssen aseptische Bedingungen gemäss einem standardisierten Protokoll streng eingehalten werden, und die Liegedauer ist zu begrenzen, um Infektionen möglichst zu vermeiden. Weiter erhöht die Verwendung eines Ultraschallgerätes zur Einlage des Katheters die Erfolgsrate und reduziert die Komplikationsrate.
Literatur:
Bonsignore M, Nachtigall I. Infektionsprävention in der Anästhesie [Infection Control in Anesthesia]. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2021 Jul;56(7-08):474-484.
Lewis SR, Price A, Walker KJ, McGrattan K, Smith AF. Ultrasound guidance for upper and lower limb blocks. Cochrane Database Syst Rev 2015; 11: CD006459
Brass P, Hellmich M, Kolodziej L, Schick G, Smith AF. Ultrasound guidance versus anatomical landmarks for internal jugular vein catheterization. Cochrane Database Syst Rev 2015; 1:CD006962
3) Keine Opioide nach Spitalaustritt bei «opioidnaiven» Patientinnen und Patienten. Falls dennoch notwendig, muss ein klarer Plan zur Dosisreduktion und zum mittelfristigen Absetzen vorhanden sein und mitgegeben werden.
Das Schmerzempfinden und das postoperative Nachlassen der Schmerzen ist variabel, weswegen die Verabreichung von Opioiden im postoperativen Schmerzmanagement individuell angepasst werden muss. Opioide sollen im Verlauf der Hospitalisation wenn immer möglich reduziert und wieder abgesetzt werden, um das Risiko von Nebenwirkungen und die Entwicklung einer Sucht einzuschränken. Patientinnen und Patienten, die bei Spitaleintritt «opioidnaiv» sind, sollten wenn immer möglich nicht mit Opioiden entlassen werden. Falls dies nötig sein sollte, muss ein klarer Plan zur Dosisreduktion und zum mittelfristigen Absetzen vorhanden sein und mitgegeben werden.
Literatur:
Levy N, Quinlan J, El-Boghdadly K, Fawcett WJ, Agarwal V, Bastable RB, et al. An international multidisciplinary consensus statement on the prevention of opioid-related harm in adult surgical patients. Anaesthesia 2021; 76: 520-536.
Macintyre PE, Quinlan J, Levy N, Lobo DN. Current Issues in the Use of Opioids for the Management of Postoperative Pain: A Review. JAMA Surg 2022; 157: 158-166
4) Keine präoperativen kardiologischen und pneumologischen Abklärungen bei asymptomatischen leistungsfähigen Patientinnen und Patienten mit bekannter Herz- und/oder Lungenerkrankung.
Asymptomatische Patientinnen und Patienten mit chronischen Herz- oder Lungenerkrankungen, vor allem zu behandelnde Personen mit koronarer Herzkrankheit oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, profitieren in der Regel nicht von einer weiterführenden kardiologischen oder pneumologischen Abklärung. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich bei guter funktioneller Kapazität einem «Low-Risk»- oder einem «Intermediate-Risk»-Eingriff unterziehen müssen. Die Abklärungen selbst reduzieren das Risiko für postoperative Komplikationen kaum. Demgegenüber werden Patientinnen und Patienten durch Untersuchungen wie eine Stressechokardiografie oder eine Koronarangiografie einem nicht zu vernachlässigenden Risiko für Komplikationen ausgesetzt. Gleichzeitig wird dadurch die Durchführung der Operation oft unnötig verzögert. Diese Untersuchungen sowie auch die Lungenfunktionsprüfung sollen symptomatischen Patientinnen und Patienten vorbehalten sein, bei denen durch die Abklärung eine Verbesserung der Therapie der chronischen Erkrankung erreicht und erwartet werden kann. Dabei sollen diese Abklärungen losgelöst von einem geplanten Eingriff durchgeführt werden.
Literatur:
De Hert S, Staender S, Fritsch G, Hinkelbein J, Afshari A, Bettelli G, Bock M, Chew MS, Coburn M, De Robertis E, Drinhaus H, Feldheiser A, Geldner G, Lahner D, Macas A, Neuhaus C, Rauch S, Santos-Ampuero MA, Solca M, Tanha N, Traskaite V, Wagner G, Wappler F. Pre-operative evaluation of adults undergoing elective noncardiac surgery: Updated guideline from the European Society of Anaesthesiology. Eur J Anaesthesiol 2018; 35: 407-465
Savery KE, Kleiman AM, Walters SM. Preoperative Assessment and Optimization of Cardiopulmonary Disease in Noncardiac Surgery. Clin Colon Rectal Surg. 2023; 36: 167-174
5) Verzicht auf eine rein fachspezifisch ausgerichtete Arbeitsweise, die sich nur auf das Durchführen von Anästhesien beschränkt.
Die Verwendung standardisierter, interdisziplinärer perioperativer Behandlungsprotokolle führt zu einem verbesserten Patientenoutcome nach verschiedenen chirurgischen Eingriffen. Anästhesistinnen und Anästhesisten können durch die Unterstützung der Implementierung und die konsequente Anwendung und Weiterentwicklung solcher Protokolle massgeblich zu einer Reduktion von postoperativen Komplikationen und damit auch zu kürzeren Hospitalisationen beitragen. Beispiele von solchen Behandlungsprotokollen sind ERAS® (Enhanced Recovery after Surgery) oder GRACE® (Groupe de Réhabilitation Améliorée après Chirurgie).
Literatur:
Wang D, Hu Y, Liu K, Liu Z, Chen X, Cao L, Zhang W, Li K, Hu J. Issues in patients' experiences of enhanced recovery after surgery (ERAS) : a systematic review of qualitative evidence. BMJ Open 2023; 13: e068910
Cohen R, Gooberman-Hill R. Staff experiences of enhanced recovery after surgery: systematic review of qualitative studies. BMJ Open 2019; 9: e022259
Ljungqvist O, de Boer HD, Balfour A, Fawcett WJ, Lobo DN, Nelson G, Scott MJ, Wainwright TW, Demartines N. Opportunities and Challenges for the Next Phase of Enhanced Recovery After Surgery: A Review. JAMA Surg 2021; 156(8): 775-784
Informationsflyer zu dieser Liste
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Informationen für Fachpersonen (April 2024) [200.48 KB]
Dokument für Patientinnen und Patienten
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Empfehlungen Laien (April 2024) [183.77 KB]